Schlaf, Kindchen! Abenteuerliche Bettstätten

So wunderbar das weltweite Reisen auch sein mag, es ist anstrengend und macht entsetzlich müde. Die Verarbeitung pausenlos auf mich einprasselnder Eindrücke durch fremdartige Zeichen, überbordende Farben, exotische Gerüche und ohrenbetäubendes Getöse wollen permanent verarbeitet werden. Grenzenlose Neugier und unbändiger Wissendurst rufen auf der einen Seite pausenlos nach MEHR, aber ein Teufelchen flüstert mir ständig ins Ohr: schlaf dich endlich mal aus.

Veranda einer Missionsstation in West-Neuguinea, 2007

Doch nicht nur der optische Overkill und die ständige Auseinandersetzung mit fremden Kulturen, epischen Landschaften, unbekannten Volksgruppen und opulenten Bauwerken und deren ausufernde Geschichte fordern ihren Tribut. Nach faszinierenden Erkundungen und immer neuen Entdeckungen ist selbst der höchste Energielevel irgendwann einfach im Keller.

Dachboden eines überfüllten Hostels in Borneo, 1991

Ich denke an endlose Stunden des enervierenden Wartens auf Flugplätzen, Bahnhöfen, Konsulaten und Grenzübergängen. Ständig muss ich mein interkulturelles Verhandlungsgeschick im Umgang mit skeptischen Viehhirten, korrupten Polizisten und schlecht gelaunten Hotelbesitzern unter Beweis stellen. Mann, macht das müde, und ich möchte nach Tagen und Wochen on the road nur noch schlafen, schlafen, schlafen.

Guesthouse in Uganda, 2013

Unterwegs in den entlegensten Ecken der Welt muss ich aufpassen wie ein Luchs, um nicht willfähriges Opfer von Trickbetrügern, Taxifahrern, Souvenirverkäufern oder Geldwechslern zu werden. Da gibt es von morgens bis abends keine Ruhepausen mit dem Ergebnis: Akku low. Man sollte Körper und Geist dann die dringend benötigte Ruhe gönnen, Kraft schöpfen und sich regenerieren. Doch das ist auf Abenteuer-Touren leichter gesagt als getan.

Frachtkanu auf einem Nebenfluss des Orinoko in Venezuela, 2005

Zu dem ganz normalen, selbstgewählten Reisestress kommen neben dem ständigen Kampf gegen Zeitverschiebungen, unregelmäßigen und eher ungesunden Ernährungsgewohnheiten die begeisterten Wanderungen bei sengender Hitze, eisiger Kälte oder unerträglicher Schwüle. Ob Höhenluft, Insektenplage oder Diebstahlgefahr – nichts hält mich nach langen Stunden des leidenschaftlichen Aufsaugens der Fremde vom Schlafen ab.

Improvisiertes Zeltlager in Borneo, Malaysia, 1991

Neben kunterbunten Marktbegehungen, lähmenden Ruinen-Erkundungen und grenzwertigen Durchschlageübungen mit der Machete in der Hand, enervierenden Angel- und Jagdversuchen und der Organisation sich ständig verändernder Reisesituationen, gilt es auch noch, den klimatischen Herausforderung Herr zu werden. Physische Belastungen und ständige Konzentrationsübungen kosten viel Kraft. Die Antwort: ist klar: viel pofen, pennen, ratzen, knacken und Nickerchen machen.

Schlafwagen, dritte Klasse, Pakistan, 1989

Wenn man jedoch Low-Budget reist und die Auswahl der Residenzen nicht nur finanziell sehr begrenzt ist, wartet abends eher selten ein Himmelbett mit duftenden Kissen, sauberen Bezügen und weichen Federbetten. Abenteuerreisen bedeuten, mit dem vorlieb zu nehmen, was verfügbar ist: harter Lava-Untergrund, matschiger Dschungelboden und kratzige Sanddünen. Ich nächtige – wenn es sein muss – auf dem nackten Fußboden, in schwankenden Hängematten, verwanzten Schlafsäcken, in Telefonzellen, auf Flughafen-Sitzen, in U-Bahn-Tunneln und auch schon mal auf Parkbänken.

Fährhafen in Marokko, 1984

Zum Glück verfüge ich über eine einzigartige Fähigkeit: ich kann unabhängig von Ort und Zeit immer und überall schlafen! Ob laut, hell, dreckig, stinkig, hart – in einem Wort äußerst unangenehm! – ich kann es mir in jeder noch so unattraktiven Umgebung bequem machen. Ob in überhitzen Zelten, auf LKW-Ladeflächen, in stickigen Bussen, engen Schiffskojen, herunter gekommenen Hostels, ungefederten Geländewagen oder auf löchrigen Luftmatratzen – einmal kauernd oder liegend kann ich fast auf Knopfdruck abschalten und so neue Power bekommen.

Leerstehende Eingeborenen-Hütte, Neuguinea, 2001

Manche Menschen halten den Schlaf für Zeitverschwendung. Dabei ist er wohltuend, macht mich kreativ und ist durchaus inspirierend. Immer und überall friedlich schlummern zu können, ist ein wahrer Segen. Nichts und niemand kann mich stören oder davon abhalten. Selbst bei noch so miesen Untergründen schaffe ich es, sie mental in ein sanftes Ruhekissen umzuwandeln.

Restaurant-Terrasse am Kivu-See, Kongo, 2016

Natürlich, rein evolutionstheoretisch gesehen, ist Schlaf sinnlos, wenn nicht gar lebensgefährlich. Schlafend sind wir verwundbar, nehmen unsere Umgebung nicht wahr, können uns weder ernähren noch fortpflanzen. Warum verschlafen wir dann rund ein Drittel unseres Lebens? Weil wir müssen! Unser Körper, vor allem unser Kopf, benötigt diese Auszeit dringend, um sich von den Anstrengungen des Tages zu erholen.

Steingarten einer Tempelanlage in Hong Kong, 2015

Unsere grauen Zellen können in den Ruhephasen nicht nur die Energiespeicher wieder auffüllen, sondern müssen neben der Verarbeitung neuer Eindrücke auch viel von dem überflüssigen molekularem Denkmüll entsorgen, der sich in unserem Kopf angesammelt hat. Schließlich hat unser Gehirn nur eine begrenzte Menge an Energie zur Verfügung und einmal aufgebracht, braucht es ausreichend Schlaf, um sich zu regenerieren.

Backpacker-Hotel in Myanmar/Burma, 1993

Im Schlaf wird der gesammelte Unrat mit dem Hirnwasser aus dem Gehirn gespült und in den Blutkreislauf gebracht, mit dem es letztendlich abtransportiert wird. Forscher stellten fest, dass dann speziell markierte Ablagerungen im Gehirn, so genannte β-Amyloide, die beispielsweise Alzheimer verursachen können, entsorgt werden. Schlafen bedeutet also gesundmachendes Großreinemachen im Kopf und automatische Leistungssteigerung. Und das ganz von allein. Wie überaus praktisch und wie wunderbar.

Danakil-Wüste, Äthiopien, 2017

Sicherlich ist Schlafen eine sehr persönliche oder gar intime Angelegenheit, zumal man sich in bisweilen unvorteilhafter Weise präsentiert und man vielleicht desöfteren ungewollt in merkwürdigen Posen betrachtet wird. Das darf einen auf Reisen keinesfalls stören, sonst hat man ein ernsthaftes Problem. Man muss täglich Kraft tanken, um die geballten Sinneseindrücke des neuen Tages wieder ohne Einschränkung aufsagen und vollauf genießen zu können.

Insofern bin ich froh und dankbar darüber, dass mir die Gabe des völligen Ausblendens gegeben wurde und ich mich auch in noch so grenzwertigen Situationen und Umgebungen den süßen Träumen hingeben kann. Und ohne schlechtes Gewissen!